In der modernen Welt wachsen viele Kinder zweisprachig oder sogar mehrsprachig auf. Sie lernen gleichzeitig die Sprachen der Eltern und zusätzlich noch eine Landessprache, die nicht zu Hause gesprochen wird. Viele Kinder beherrschen alle Sprachen und entwickeln sie harmonisch. Bei anderen Kindern verzögert sich die Sprachentwicklung und es treten oft spezifische Fehler auf. Diese Kinder vermischen die Sprachen oft, verwenden falsche Wortendungen oder bilden grammatikalisch falsche Sätze.
Oft stellen sich die Eltern mehrsprachiger Kindern solche Fragen:
Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. In diesem Artikel werden die Ursachen von Lesestörungen im besonderen Fall der mehrsprachigen Erziehung untersucht. Am Ende finden sich Empfehlungen und die Präventionsstrategien für Eltern und Erzieher.
Wissenschaftler und Pädagogen weisen auf einen Konflikt bei mehrsprachigen Kindern hin, der eine der Ursachen für eine Lese-Rechtschreib-Störung sein kann. Gemeint ist hiermit der psychologische Konflikt zwischen der natürlichen Neigung zur Muttersprache und der Notwendigkeit, sich in einer weiteren anderen Sprache, z. B. der Landessprache, auszudrücken. Im ersten Fall der Mehrsprachigkeit nutzt das Kind eine Sprache zu Hause und die andere in der Schule oder „auf der Straße“ (sprich: Umfeld). Im zweiten Fall sprechen die Eltern zwei unterschiedliche Sprachen zu Hause und dazu kommt oft noch die dritte Sprache der Landes und der Umgebung.
Jeder 5. der Bevölkerung in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Ein Drittel davon sind Kinder im Alter von bis zu 5 Jahren.
Mehrsprachige Kinder nutzen gezwungenermaßen fremde Wörter und Laute in der Kommunikation mit ihrer Umwelt. Dies kann zu einer inneren Unzufriedenheit führen und eine Kommunikationsbarriere aufbauen. Manche Kinder brauchen Zeit, um eine Sprache als Muttersprache zu bestimmen, sie neigen oft zum Schweigen. Die unzureichende Übung in der verbalen Sprache kann zu einem Stillstand des frühen Sprachlernprozesses und zur verzögerten Sprachentwicklung führen.
Dieser Konflikt führt zu einer Lese-Rechtschreib-Störung und in manchen Fällen zu Dyslexie, einer hartnäckigen Lesestörung.
*Vorgeschlagener Artikel: Die Auswirkung von Sprachstörungen beim Lesenlernen*
In einer mehrsprachigen Umgebung können sich die folgenden Faktoren negativ auf die Lesekompetenz auswirken:
Sprachtherapeuten sind sich einig, dass der psychologische Konflikt und die emotionale Unsicherheit, in der sich das Kind befindet, zweitrangige Gründe für Dyslexie sind. Der eigentliche Grund ist die Besonderheit der verbalen Sprachentwicklung und eine expressive Sprachstörung bei mehrsprachigen Kindern. Diese führen zu einer Beeinträchtigung des Schriftspracherwerbs, welche sich durch die folgenden Störungen zeigt:
Das heißt, in der mehrsprachigen Erziehung können Kinder Schwierigkeiten mit der Verallgemeinerung und Übertragung von sprachlichen Konzepten haben. Jede Sprache hat ihre Grundregel der rhythmischen Betonung, ihr eigenes Lautsystem und ihre grammatikalische Struktur. Die Regeln einer Zielsprache können den Regeln der anderen Zielsprache widersprechen. Das mehrsprachige Kind setzt sich mit widersprechenden Regeln in der früheren Phase des Spracherwerbs auseinander, dabei hat das Kind diese Regeln noch nicht in der dominanten Sprache (Muttersprache) vollständig erlernt. Als Ergebnis neigen diese Kinder zu einfacheren Satzstrukturen und sprechen oft noch grammatikalisch falsch. Sie verwenden falsche Laute und Wörter.
Sowohl charakteristische Störungen in den früheren Phasen der verbalen Sprachentwicklung als auch verzögertes Erlernen der Sprachregeln führen zur Dyslexie bei mehrsprachigen Kindern. Der psychologische Konflikt ist also zweitrangig.Lesestörungen beeinflussen die sozial-emotionale Entwicklung des Kindes. Stagnationen im Spracherwerbsprozess und Misserfolge beim Lesenlernen können Charakterzüge wie Unsicherheit, Scheu und Ängstlichkeit hervorheben und verstärken. Sie können auch umgekehrt zu Wut und Aggression führen. In allen diesen Fällen dreht sich das zwei- oder mehrsprachige Kind in einem Teufelskreis: Die emotionalen Reaktionen vertiefen die Leseschwäche: Um eine negative Erfahrung zu vermeiden, ist das Kind beim Lesenüben sehr unwillig und verschluckt die Silben in langen Wörtern. Weitere emotionale Reaktionen entstehen wiederum aufgrund dieser Fehler beim Lesen.
Bei manchen bilingualen Kindern sind negative Gefühle auch mit verbaler Kommunikation verbunden: das Kind versteht nicht eine mündliche Erklärung und kann sich nicht gut genug in der Sprache ausdrücken.
Wie können Eltern und Erzieher den betroffenen mehrsprachigen Kindern in der frühen Phase des Lesenlernens helfen? Verbringen Sie längere Zeit bei jedem Buchstaben: Lassen Sie das Kind die Buchstaben malen, umdrehen, ausschneiden, und ausmalen.
Spielerisch führen Sie an grafisch ähnliche Buchstaben b ‒ d, p ‒ q, Z ‒ N, W ‒ M, J ‒L heran: Besprechen Sie die grafischen Unterschiede oder Ähnlichkeiten, entwickeln sie eigene Erkennungsregeln und Erinnerungshilfen. Üben sie mit dem Kind, diese Buchstaben oft in verschiedenen Wörtern zu erkennen und auch zu lesen.
Fangen Sie mit einer Schriftsprache an und gehen sie dann erst in die zweite Sprache über, nachdem das Kind das Lesen in einer Sprache gut beherrscht.
Mit der Mehrsprachigkeit geben Sie ihrem Kind die großartige Chance, sich in unserer modernen und internationalen Welt zu verwirklichen. Für viele Kinder ist die Mehrsprachigkeit die natürliche Umgebung, sie lernen von Geburt an in zwei oder mehr Sprachen zu denken, zu sprechen und später auch zu lesen und zu schreiben.
Mit vorbeugenden Strategien kann zweisprachigen und mehrsprachigen Kindern mit anfänglichen Sprachentwicklungsstörungen geholfen werden. Hier wirkt die alte Regel „Übung macht den Meister“ Wunder.